Harmonierten perfekt mit dem Orchester: Tobias Klomp und Joana Köster. Foto: Jürgen Lüken
Von Gerhard Herrenbrück
Immer am Vorabend des 4. Advent kennen die Niedergrafschafter Freunde guter Musik nur ein Ziel: Das Weihnachtskonzert des Uelser Musikvereins in der altreformierten Kirche in Emlichheim. Der Reiz dieses Konzerts besteht über die Jahre hinweg darin, dass Helga Hoogland, seit 30 Jahren die künstlerische Leiterin und Dirigentin, mit ihrer Programmgestaltung und ihrem Dirigat stets dafür sorgt, dass jedwede musikalische Monotonie des Programms vermieden wird. So auch am Samstagabend.
Erneut herrschte Freude über den Programmaufbau mit seinem wohldosierten Mix der Stile und Genres der Musik, die sich im Laufe des Konzerts immer wieder neu und immer wieder anders miteinander verbanden. Klassische Weihnachtslieder standen neben jahreszeitlichen Bezügen auf die winterliche Pop-Kultur, etwa mit der Eiskönigin aus „Frozen“.
Und überhaupt war am Samstagabend nicht nur Musik zu hören, sondern auch eine besinnliche Vorlese-Geschichte, die wie immer Friedel Bröker gekonnt vortrug und in der es um das Schicksal einer Schneeflocke ging, die einzeln dem Untergang geweiht ist, die aber in millionenfach geballter Form zur Lawine werden kann mit naheliegenden Folgen. Ein Mini-Symbol für den Zustand unserer unfriedlichen Welt. Im Mittelpunkt stand aber (bei aller unbestreitbaren Vielfalt der fast 20 Nummern des Programms) in einsamer Klasse das großartige Musizieren des Orchesters des Musikvereins. Das 60-köpfige sinfonische Blasorchester, das im 30. Jahr seines Bestehens nicht nur an Alter, sondern auch an Reife gewonnen hat, zog an diesem Abend alle Register seines Könnens in der dynamischen Gestaltung. Damit ist gemeint der gelungene Wechsel der Tempi, das Variieren der Steigerungen und von laut und leise (auch für die Blechbläser gibt es Pianissimo-Takte!), der Einsatz von swingender Geschmeidigkeit und andererseits von takt- und zählgenauer Disziplin. Und so konnte sich dieser große Klangkörper in ganz unterschiedlichen musikalischen Welten mit ganz unterschiedlichen Klangfarben bewegen. Dazu trug auch die gleichmäßige instrumentale Besetzung bei, wie sie für ein sinfonisches Blasorchester vorgesehen ist. Blasinstrumente eben. Keine Geigen! Lediglich die Gruppe der Waldhörner war ein wenig unterbesetzt. Gleich die Auftaktnummer des Programms, die kompositorisch effektvollen „Morning Star Variations“ des belgischen Komponisten Bert Appermonts mit dem Cantus firmus „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ eröffnete mit diesem Bezug auf die Botschaft der Menschwerdung Gottes für das ganze Konzert den Sinnhorizont des Weihnachtsfestes und damit auch des Weihnachtskonzerts.
Zu den Glanzlichtern des Abends gehörten wie schon im letzten Jahr die beiden Gesangssolisten: Joana Köster, Sopran, und Tobias Klomp, Tenor. Köster sang zu Beginn den amerikanischen Klassiker „I‘ll be home for Christmas“. Und wenn man diesen Song mit Frank Sinatra und erst recht Bing Crosby noch aus den fünfziger und sechziger Jahren im Ohr hat, dann war im Kontrast dazu Joana Köster in ihrem musikalischen Stil und ihrer Interpretation des Songs der Abstand von einigen Jahrzehnten wohltuend anzumerken. Ähnlich verhielt es sich mit „O holy Night“ von Adolphe Adam, ebenfalls ein amerikanischer Weihnachtsevergreen. Tobias Klomp sang dieses eigentlich bewegende Lied schnörkellos und ohne Pathos und gab ihm dadurch seine Wirkung zurück.
Wirkungsvoll auch die Darbietung der beiden Solisten von Udo Jürgens‘ Lied „Ich glaube“. Das Duo unternahm gar nicht erst den Versuch, den Song in der typischen Manier von Udo Jürgens vorzutragen. Sondern sie überzeugten durch das Vertrauen auf ihren eigenen Gesangsstil und gewannen sich dadurch den Beifall des Publikums. Pia Brill, die die Conference innehatte und das Publikum sprachgewandt durch das Programm führte, traf den Nagel auf den Kopf, als sie Joana Köster und Tobias Klomp als „Bereicherung“ bezeichnete. Zweifellos dürfte in der Arbeit des Musikvereins mit dem Auftritt des Duos am Samstagabend eine neue Ära begonnen haben. Man wird auf seine Mitwirkung in Zukunft nicht mehr verzichten wollen und können. Dazu dürfte auch beitragen, dass die beiden nicht nur großartige Sänger sind, sondern auch mit ihrer Bühnenpräsenz überzeugen. Damit ist mehr gemeint als nur das Musikalische. Sie harmonieren gut miteinander und können ihre musikalische Rolle als Solisten und erst recht als Duo auch gegenüber dem großen Orchester mühelos behaupten und gehen nicht unter. Des Rühmens ist kein Ende bei diesem großartigen Konzert. Dazu gehört auch der Programmpunkt „Dona nobis pacem“, der weltweit gesungene Friedenskanon. Pia Brill nahm ihn zum Anlass, in einigen wenigen Sätzen unter dem Stichwort „Magdeburg“ für ein Innehalten des großen Publikums zu sorgen. Da war kein Wort zu viel und keins zu wenig.
Dem traditionellen Schluss mit dem gemeinsamen Singen der Weihnachtshymne „O du fröhliche!“ von Publikum und Musikern ging der musikalisch anspruchsvolle Auftritt von Tobias Klomp zusammen mit dem Orchester in der Darbietung des Spirituals „Go Tell it!“ voraus. Sie ließ noch einmal die Botschaft von der Geburt des Gottessohns hören, die schon mit „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ zu Beginn verkündet wurde. Hier schloss sich der Kreis. Dieses wohlbekannte Spirituell, das hier vier bekannte Weihnachtsmelodien (am Schluss mit dem populären „Gloria in Excelsis Deo“) in einem hoch-rhythmischen Off-Beat-Arrangement verband, verlangte dem Orchester und dem Solisten Tobias Klomp in seinen rhythmischen Verschiebungen, seinem Swing und seinen Wechseln der Tonart einiges ab. Entsprechend der Schluss-Applaus: Stehend und jubelnd. Minutenlang.